Das menschliche Harnsystem ist sehr komplex und dementsprechend in manchen Bereichen auch anfällig. Je nach Ausmaß der Beschwerden kann es hier unter anderem auch möglich sein, dass die Symptome mit Hinblick auf GdS Richtlinien eine Rolle spielen.
Doch gehört hierbei eigentlich genau zu den Harnorganen und welche Art von Beschwerden können hervorgerufen werden?
Die folgende Auflistung zeigt, wie weitläufig dieser Bereich sein kann und informiert gleichzeitig über mögliche Grade der Behinderung. Wie immer gilt jedoch auch hier, dass Beschwerden sehr individuell sein können. Daher obliegt es oft der spezifischen Einschätzung, welcher Behinderungsgrad im Einzelfall eingeräumt werden kann.
Nierenschäden
Auch wenn es in der Regel oft problemlos möglich ist, mit nur einer Niere zu leben, können Schäden in diesem Bereich die Lebensqualität der Betroffenen stark einschränken. Unter anderem kann es beispielsweise sein, dass:
- eine Niere ausfällt bzw. fehlt
- die Nierenfunktion eingeschränkt wird
- sich das Nierenhohlsystem erweitert
- Nierensteine entstehen
- der betroffene unter schmerzhaften Koliken leidet
- Tumoren im Bereich der Nieren entstehen
usw.. Einige dieser Krankheitsbilder müssen für die Betroffenen nicht mit Beschwerden verbunden sein. Manchmal kommen sie sogar komplett symptomlos daher. Auf der anderen Seite kann es sein, dass die Patienten jedoch – zum Beispiel im Falle der Koliken – unter extremen Schmerzen leiden und ihrem Beruf nicht mehr nachgehen können.
In diesen Fällen gelten sie oft als schwerbehindert.
Schäden im Bereich der Harnwege
Harnwegsentzündungen können sowohl chronisch als auch akut verlaufen und auch mit Hinblick auf den Behindertengrad eine Rolle spielen. Leidet der Betroffene beispielsweise unter Miktionsstörungen, ist ein Behindertengrad von bis zu 40 Prozent möglich.
Schäden im Bereich der Harnwege können auch zu Entleerungsstörungen der Blase führen. Manchmal sind solche Symptome auch mit Begleiterscheinungen im Bereich der Haut verbunden.
Blasentumore
Wurde ein bösartiger Blasentumor entfernt, ist es im ersten Schritt wichtig, den Heilungsprozess (laut GdS: zwei Jahre) abzuwarten. Welcher Behinderungsgrad angesetzt wird, ist vor allem von der Art des Tumors bzw. dessen Stadium abhängig. Musste die Blase komplett entfernt und eine künstliche Harnableitung gesetzt werden, kann in der Regel mit einer 80%igen Behinderung gerechnet werden.
Befand sich der Tumor in einem besonders hohen Stadium kann es auch sein, dass der Betroffene zu 100% als Schwerbehinderter gilt.
Harninkontinenz
Eine Harninkontinenz kann den Alltag der Betroffenen auf den Kopf stellen. Während ein leichter Harnabgang bei Belastung noch mit 0 bis 10 Prozent gewertet wird, schlägt eine komplette Harninkontinenz schnell mit 50 Prozent zu Buche. Die Patienten ziehen sich aus Angst vor einem „Unfall“ hier oft zurück und klinken sich so immer mehr aus dem gesellschaftlichen Leben aus. Hier sind diejenigen im Vorteil, die dem Problem gegebenenfalls in Eigenregie ein wenig entgegenwirken können. Gerade in geringeren Ausprägungen wird Harninkontinenz oft mit Stress in Verbindung gebracht. Hier kann mentales Training manchmal helfen.
Erkrankungen der Harnorgane und GDS/GDB-Tabelle
Die Beurteilung des GdS bei Schäden der Harnorgane richtet sich nach dem Ausmaß der Störungen der inkretorischen und exkretorischen Nierenfunktion und/oder des Harntransportes, das durch spezielle Untersuchungen zu erfassen ist.Anmerkung Daneben sind die Beteiligung anderer Organe (z. B. Herz/Kreislauf, Zentralnervensystem, Skelettsystem), die Aktivität eines Entzündungsprozesses, die Auswirkungen auf den Allgemeinzustand und die notwendige Beschränkung in der Lebensführung zu berücksichtigen. Unter dem im Folgenden verwendeten Begriff „Funktionseinschränkung der Nieren“ ist die Retention harnpflichtiger Substanzen zu verstehen. | ||
12.1 Nierenschäden | ||
12.1.1 Verlust, Ausfall oder Fehlen einer Niere bei Gesundheit der anderen Niere | 25 | |
Verlust, Ausfall oder Fehlen einer Niere bei Schaden der anderen Niere, ohne Einschränkung der Nierenfunktion, mit krankhaftem Harnbefund | 30 | |
Anmerkung | ||
Nierenfehlbildung (z.B. Erweiterung des Nierenhohlsystems bei Ureterabgangsstenose, Nierenhypoplasie, Zystennieren, Nierenzysten, Beckenniere), Nephroptose | ||
ohne wesentliche Beschwerden und ohne Funktionseinschränkung | 0 – 10 | |
mit wesentlichen Beschwerden und ohne Funktionseinschränkung | 20 – 30 | |
Nierensteinleiden ohne Funktionseinschränkung der Niere | ||
mit Koliken in Abständen von mehreren Monaten | 0 – 10 | |
mit häufigeren Koliken, Intervallbeschwerden und wiederholten Harnwegsinfekten | 20 – 30 | |
Nierenschäden ohne Einschränkung der Nierenfunktion (z.B. Glomerulopathien, tubulointerstitielle Nephropathien, vaskuläre Nephropathien), ohne Beschwerden, mit krankhaftem Harnbefund (Eiweiß und/oder Erythrozyten- bzw. Leukozytenausscheidung) | 0 – 10 | |
12.1.2 Nierenschäden ohne Einschränkung der Nierenfunktion, mit Beschwerden rezidivierende Makrohämaturie, je nach Häufigkeit | 10 – 30 | |
Nephrotisches Syndrom | ||
kompensiert (keine Ödeme) | 20 – 30 | |
dekompensiert (mit Ödemen) | 40 – 50 | |
bei Systemerkrankungen mit Notwendigkeit einer immunsuppressiven Behandlung | 50 | |
12.1.3 Nierenschäden mit Einschränkung der Nierenfunktion Eine geringfügige Einschränkung der Kreatininclearance auf 50-80 ml/min bei im Normbereich liegenden Serumkreatininwerten bedingt keinen messbaren GdS. | ||
Nierenfunktionseinschränkung | ||
leichten Grades (Serumkreatininwerte unter 2 mg/dl [Kreatininclearance ca. 35-50 ml/min], Allgemeinbefinden nicht oder nicht wesentlich reduziert, keine Einschränkung der Leistungsfähigkeit) | 20 – 30 | |
(Serumkreatininwerte andauernd zwischen 2 und 4 mg/dl erhöht, Allgemeinbefinden wenig reduziert, leichte Einschränkung der Leistungsfähigkeit) | 40 | |
mittleren Grades (Serumkreatininwerte andauernd zwischen 4 und 8 mg/dl erhöht, Allgemeinbefinden stärker beeinträchtigt, mäßige Einschränkung der Leistungsfähigkeit) | 50 – 70 | |
schweren Grades (Serumkreatininwerte dauernd über 8 mg/dl, Allgemeinbefinden stark gestört, starke Einschränkung der Leistungsfähigkeit, bei Kindern keine normalen Schulleistungen mehr) | 80 – 100 | |
Anmerkung | ||
Verlust, Ausfall oder Fehlen einer Niere mit Funktionseinschränkung der anderen Niere | ||
leichten Grades | 40 – 50 | |
mittleren Grades | 60 – 80 | |
schweren Grades | 90 – 100 | |
Notwendigkeit der Dauerbehandlung mit Blutreinigungsverfahren (z.B. Hämodialyse, Peritonealdialyse) | 100 | |
Bei allen Nierenschäden mit Funktionseinschränkungen sind Sekundärleiden (z.B. Hypertonie, ausgeprägte Anämie [Hb-Wert unter 8 g/dl], Polyneuropathie, Osteopathie) zusätzlich zu bewerten. | ||
Anmerkung | ||
12.1.4 Nach Nierentransplantation ist eine Heilungsbewährung abzuwarten (im Allgemeinen zwei Jahre); während dieser Zeit ist ein GdS von 100 anzusetzen. Danach ist der GdS entscheidend abhängig von der verbliebenen Funktionsstörung; unter Mitberücksichtigung der erforderlichen Immunsuppression ist jedoch der GdS nicht niedriger als 50 zu bewerten. Nach Entfernung eines malignen Nierentumors oder Nierenbeckentumors ist eine Heilungsbewährung abzuwarten. GdS während einer Heilungsbewährung von zwei Jahren | ||
nach Entfernung eines Nierenzellkarzinoms (Hypernephrom) im Stadium T1 N0 M0 (Grading G1) | 50 | |
nach Entfernung eines Nierenbeckentumors im Stadium Ta N0 M0 (Grading G1) | 50 | |
Anmerkung | ||
GdS während einer Heilungsbewährung von fünf Jahren | ||
nach Entfernung eines Nierenzellkarzinoms (Hypernephrom) | ||
im Stadium (T1 [Grading ab G2], T2) N0 M0 | 60 | |
in höheren Stadien wenigstens | 80 | |
nach Entfernung eines Nierenbeckentumors | ||
im Stadium (T1 bisT 2) N0 M0 | 60 | |
in höheren Stadien wenigstens | 80 | |
nach Entfernung eines Nephroblastoms | ||
im Stadium I und II | 60 | |
in höheren Stadien wenigstens | 80 | |
Anmerkung | ||
12.2 Schäden der Harnwege | ||
12.2.1 Chronische Harnwegsentzündungen (insbesondere chronische Harnblasenentzündung) | ||
leichten Grades (ohne wesentliche Miktionsstörungen) | 0 – 10 | |
stärkeren Grades (mit erheblichen und häufigen Miktionsstörungen) | 20 – 40 | |
chronische Harnblasenentzündung mit Schrumpfblase (Fassungsvermögen unter 100 ml, Blasentenesmen) | 50 – 70 | |
12.2.2 Bei Entleerungsstörungen der Blase (auch durch Harnröhrenverengung) sind Begleiterscheinungen (z.B. Hautschäden, Harnwegsentzündungen) ggf. zusätzlich zu bewerten. | ||
Entleerungsstörungen der Blase | ||
leichten Grades (z.B. geringe Restharnbildung, längeres Nachträufeln) | 10 | |
stärkeren Grades (z.B. Notwendigkeit manueller Entleerung, Anwendung eines Blasenschrittmachers, erhebliche Restharnbildung, schmerzhaftes Harnlassen) | 20 – 40 | |
mit Notwendigkeit regelmäßigen Katheterisierens, eines Dauerkatheters, eines suprapubischen Blasenfistelkatheters oder Notwendigkeit eines Urinals, ohne wesentliche Begleiterscheinungen | 50 | |
Anmerkung | ||
12.2.3 Nach Entfernung eines malignen Blasentumors ist eine Heilungsbewährung abzuwarten. GdS während einer Heilungsbewährung von zwei Jahren | ||
nach Entfernung des Tumors im Frühstadium unter Belassung der Harnblase (Ta bis T1) N0 M0, Grading G1) | 50 | |
GdS während einer Heilungsbewährung von fünf Jahren | ||
nach Entfernung im Stadium Tis oder T1 (Grading ab G2) | 50 | |
nach Entfernung in den Stadien (T2 bis T3a) N0 M0 | 60 | |
mit Blasenentfernung einschließlich künstlicher Harnableitung | 80 | |
nach Entfernung in höheren Stadien | 100 | |
Anmerkung | ||
12.2.4 Harninkontinenz | ||
relative | ||
leichter Harnabgang bei Belastung (z.B. Stressinkontinenz Grad I) | 0 – 10 | |
Harnabgang tags und nachts (z.B. Stressinkontinenz Grad II-III) | 20 – 40 | |
völlige Harninkontinenz | 50 | |
bei ungünstiger Versorgungsmöglichkeit | 60 – 70 | |
nach Implantation einer Sphinkterprothese mit guter Funktion | 20 | |
Anmerkung | ||
Harnröhren-Hautfistel der vorderen Harnröhre bei Harnkontinenz | 10 | |
Harnweg-Darmfistel bei Analkontinenz, je nach Luft- und Stuhlentleerung über die Harnröhre | 30 – 50 | |
Künstliche Harnableitung (ohne Nierenfunktionsstörung) | ||
in den Darm | 30 | |
nach außen | ||
mit guter Versorgungsmöglichkeit | 50 | |
sonst (z.B. bei Stenose, Retraktion, Abdichtungsproblemen) | 60 – 80 | |
Darmneoblase mit ausreichendem Fassungsvermögen, ohne Harnstau, ohne wesentliche Entleerungsstörungen | 30 |